Wie haben sich ICD-Systeme seit 1980 entwickelt?

Seit Michel Mirowski im Februar 1980 den ersten automatisierten Defibrillator implantierte, gehen weltweit immer mehr Menschen mit einem sichereren Gefühl durchs Leben. Kamen 1997 in Europa auf eine Million Einwohner gerade einmal 22 Transplantationen[i], waren es 2013 alleine in Deutschland 936.[ii] Bei den meisten Menschen (72%) wird ein ICD vorsorglich zur sogenannten Primär-Prophylaxe eingesetzt[iii]. Es handelt sich dabei um Menschen, die bislang weder einen plötzlichen Herztod überlebt haben noch eine bösartige Rhythmusstörung hatten. Die übrigen 28 Prozent erhalten den Defi als Sekundär-Prophylaxe – also nach einem Ereignis oder einer bösartigen Rhythmusstörung. In beiden Fällen ist inzwischen nachgewiesen, dass der ICD anderen Therapieformen überlegen ist, wenn es darum geht, den plötzlichen Herztod zu verhindern.

30 Jahre nach der ersten Implantation eines Defibrillators berichtete das renomierte Fachjournal „New England Journal of Medicine“ über ein neues, rein subkutanes Defibrillatorsystem und dessen zuverlässige Funktionalität im Langzeitverlauf[iv]. Damit begann eine neue Therapieform, die für die Patienten Vorteile hat – denn im Gegensatz zu einem transvenösen ICD werden die Signal nehmenden Elektroden/Sonden beim S-ICD nicht in das Herz vorgeschoben und an der Herzwand fixiert. Stattdessen werden sie unter der Haut implantiert. Herz und Venen bleiben unberührt und somit intakt. Die bisherigen Daten zum S-ICD sind mittlerweile so überzeugend, dass der S-ICD für die Primär- und Sekundärprophylaxe des plötzlichen Herztodes als sicher und effektiv gilt und für viele Patienten sogar eine bessere Alternative darstellt.

Die Funktionen des S-ICD

Wie der transvenöse ICD nimmt auch der subkutane Defibrillator die Signale des Herzens über Elektroden/Sonden entgegen und ermittelt Arrhythmien in der Herzfrequenz. Anders als der ICD kann er allerdings nicht als Herzschrittmacher fungieren. Weil der S-ICD nicht in der Schulter, sondern in der linken Brustkorbseite implantiert wird, gibt er im Fall eines Schocks einen höheren Stromschlag ab als der transvenöse ICD. So schockt der S-ICD mit 80 Joule, während beim konventionellen ICD 35 Joule ausreichen. „Gefühlt“ werden die Schocks beider Aggregate immer wieder mit einem Pferdetritt vor die Brust verglichen. Den Schock eines S-ICD nehmen Patienten also in etwa gleich stark wahr wie den eines ICD. Denn ein Schmerz verdoppelt sich nicht bei doppelter Stromstärke. Untersuchungen ergaben, dass sich der Schmerz ab einem bestimmten Schmerzlevel nur noch in Nuancen steigert. Unabhängig davon bleibt, dass jeder Mensche ein individuelles Schmerzempfinden hat.

Exzellente „S-ICD-Kandidaten“

Grundsätzlich kommen alle Patienten ohne Bedarf einer kardialen Stimulation (antibradykard als Herzschrittmacher oder antitachykard als Überstimulation) als Kandidaten für die Implantation eines S-ICD in Frage. Auch prophylaktische Implantationen bei einer eingeschränkten Pumpfunktion des Herzens nach einem Infarkt sind möglich. Bei jeder Neu-Implantation sollte im Sinne des Patienten die Option des S-ICD geprüft und mit ihm erörtert werden. Ganz exzellent eignen sich Patienten mit folgenden Indikationen für die Therapie mit einem S-ICD:

  • Langes / kurzes QT-Syndrom
  • Brugada Syndrom
  • Katecholaminerge polymorphe ventrikuläre Tachykardien (CPVT)
  • „Idiopathisches Kammerflimmern“
  • Hypertrophe Kardiomyopathien
  • Stattgehabte Infektionen transvenöser ICD-Systeme („Sondenendokarditis“)
  • Stattgehabte Komplikationen transvenöser Systeme aufgrund wiederkehrender Elektrodenkomplikationen
  • Patienten mit anatomischen Besonderheiten oder schwierigen Venenverhältnissen
  • angeborene Herzfehler (z.B. univentrikuläres Herz)

Wo liegen der wesentliche Schwachpunkt beim ICD und der Vorteil beim S-ICD?

Der transvenöse ICD funktioniert mittels Elektroden/Sonden. Sie werden in das Herz vorgeschoben und an der Herzwand fixiert. Auch wenn diese Elektroden in den meisten Fällen einwandfrei funktionieren, sind sie dennoch seine Schwachstellen. Sie haben eine endliche Lebensdauer, können brechen, ihre Isolierung verlieren, Konnektorendefekte haben oder auch Entzündungen hervorrufen. Die meisten Fehlfunktionen gehen auf mechanische Ursachen zurück. Ist zum Beispiel die Isolierung der Sonden defekt oder brechen Konnektoren, kann das zu Störungen bei der Wahrnehmung, der Stimulation oder der Defibrillation führen. Solche Störungen der Sonden manifestieren sich in der Regel durch Oversensing, das heißt: durch Wahrnehmung von elektrischen Signalen, die eigentlich nicht wahrgenommen werden sollten. Dieses Oversensing kann im unglücklichsten Fall zu inadäquaten Schocks führen. Oft führt es aber „nur“ zur Aufzeichnung falscher Daten im EGM Speicher.

Immer, wenn eine Elektrode/Sonde defekt ist oder ihre Lebensdauer beendet hat, kommt es für den Patienten zu einer Operation am Herzen. Mit dem S-ICD kann man diese Operationen vermeiden, da die Elektroden/Sonden nicht im Herzen fixiert werden. Gerade für jüngere Patienten oder sogar Kinder ist das ein großer Vorteil aufgrund der längeren Lebenserwartung. Für sie ist der S-ICD, wenn die Grunderkrankung des Herzens es zulässt, ganz klar die bessere Form der ICD-Versorgung.

Interview mit Dr. Florian Reinke:

 

Dr. Florian Reinke war auch über seinen Arbeitskreis hinaus ein viel gefragter Gesprächspartner:

Dr. Florian Reinke war auch über seinen Arbeitskreis hinaus ein viel gefragter Gesprächspartner.

Im Gespräch

Dr. Florian Reinke

 

Text: Birgit Schlepütz
Fotos: Ilona Kamelle-Niesmann

 


[i] Europace 2010; 12: 1063-1069

[ii] Deutsches Herzschrittmacher- und Defibrillator-Register, Herzschrittmachertherapie + Elektrophysiologie, December 2015, Volume 26, Issue 4, pp 374-398

[iii] Deutsches Herzschrittmacher- und Defibrillator-Register, Herzschrittmachertherapie + Elektrophysiologie, December 2015, Volume 26, Issue 4, pp 374-398

[iv]New England Journal of Medicine 2010; 363:36-44