Rabattverträge und ihre Folgen

Da hat man sich auf ein Medikament eingestellt und kommt gut damit zurecht – und dann sagt der Apotheker plötzlich: „Das kann ich Ihnen so nicht mehr herausgeben.“ Warum dies so ist, erschließt sich erst dann, wenn man versteht, wie Medikamente auf den Markt, sprich in die Apotheke, kommen: Zwischen den Arzneimittelherstellern und den deutschen gesetzlichen Krankenversicherungen existieren exklusive Verträge über die Belieferung von Patienten mit den Arzneimitteln der Hersteller. Diese Verträge werden auch Rabattverträge genannt, weil die Arzneimittelhersteller den Krankenkassen aufgrund größerer Absatzmengen Rabatte gewähren. Solche Rabattverträge können sich auf einzelne Wirkstoffe beziehen, aber auch auf die Arzneiform (Tablette, Kapsel, Saft) und die Packungsgröße. Die Initiative dafür ging von der Bundesregierung aus, die dazu 2003 und 2007 Gesetze verabschiedete. Deren Ziel war,

  • die Ausgaben der Krankenkassen für die Arzneimittel – und damit auch die Krankenkassenbeiträge – zu senken. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes konnten Arzneimittelhersteller die Preise für ihre Produkte nämlich selbst bestimmen.
  • die Qualität der Versorgung zu verbessern, wirtschaftlicher und transparenter zu werden, den Wettbewerb zu erhöhen, Bürokratie abzubauen und vor allem die Wahlmöglichkeiten der Versicherten auszuweiten.

Tatsächlich sparten die Krankenkassen beispielsweise im Jahr 2010 durch die Rabattverträge 1,3 Mrd. EUR. Trotzdem erreichte die zum Wohl der Allgemeinheit gedachte Idee vielfach ihr genaues Gegenteil. So gab es etwa Versorgungsengpässe bei Herstellern mit geringem Marktanteil, aus dem geplanten Bürokratieabbau entwickelte sich ein Bürokratiestau und die erhoffte Entscheidungsfreiheit der Patienten blieb praktisch  ganz aus. Die Regelungen stoßen deshalb auf zunehmende Unzufriedenheit, werden aber wohl vorerst nicht geändert werden.

(Um)Wege zum gewohnten Medikament

Jan Borghorst ist als Apotheker bis auf Notfälle an die Rabattverträge gebunden, die Ihre Krankenkasse mit den Herstellern geschlossen hat. Das heißt: Es kann passieren, dass er Ihnen ein Medikament, das Sie bereits lange einnehmen, plötzlich nicht mehr aushändigen darf. Sie erhalten dann stattdessen ein Medikament von einem Hersteller, der einen Rabattvertrag mit Ihrer Krankenkasse geschlossen hat. Dieses Medikament enthält den gleichen Wirkstoff, ist gleich dosiert, deckt die gleiche Indikation ab und hat in aller Regel die gleiche Packungsgröße und Darreichungsform. Kommen Sie mit einer solchen Umstellung gar nicht zurecht – etwa, weil Sie die Zusammensetzung der Trägerstoffe für den Wirkstoff nicht vertragen – können Sie über verschiedene Wege versuchen, dennoch das gewohnte Medikament zu erhalten.

  • Ihr Arzt kann in begründeten Fällen auf dem Rezept den „aut idem“-Vermerk ankreuzen. Das verschriebene Arzneimittel darf dann nicht ausgetauscht werden. Ärzte müssen diese Verschreibungen jedoch gegenüber einer Kommission begründen und verantworten.
  • Stellt Ihr Arzt kein „aut-idem-Rezept“ aus, können Sie das Arzneimittel auch erhalten, wenn Sie den vollen Verkaufspreis selbst übernehmen. Die Krankenkasse erstatten die Kosten aber nachträglich nur teilweise.
  • Hat der Apotheker pharmazeutische Bedenken, kann er sie äußern. Die Deutsche Pharmazeutischen Gesellschaft gibt ihm dazu Handlungsempfehlungen zur Begründung an die Hand. Nehmen Sie etwa zur Therapie mehrerer Erkrankungen kontinuierlich fünf oder mehr Wirkstoffe ein, ist die Abgabe des gewohnten Arzneimittels meist zu begründen. Mittlerweile existiert außerdem eine Liste mit Wirkstoffen, die grundsätzlich nicht getauscht werden dürfen. Dazu zählen zum Beispiel Herzglykoside, Immunsuppressiva oder auch Marcumar.

Medikamente auf Vorrat?

Pro Rezept dürfen Ärzte eine Quartalsration eines Arzneimittels verordnen. Ausnahmen davon gelten, wenn Sie etwa in einen längeren Urlaub fahren oder zu einem Auslandssemester aufbrechen. Sprechen Sie dazu rechtzeitig mit Ihrem behandelnden Arzt. Wegen der Medikamenten-Engpässe während der Corona-Pandemie sind Ärzte besonders gehalten, auf den Bedarf ihrer Patienten zu achten. Ob die Produktion von Arzneimitteln aufgrund der Pandemie-Erfahrung zum Teil wieder nach Europa zurück verlagert werde, ist in Jan Borghorsts Augen noch offen. Corona habe zwar gezeigt, wie abhängig man sich in einigen Segmenten durch die Verlagerung der Produktion nach Asien gemacht habe. Ob die Erkenntnis auch zu Konsequenzen führe, bleibe abzuwarten.

Reimporte

Bei Reimporten handelt es sich um Arzneimittel, die in Deutschland für den ausländischen Markt gefertigt werden. Nach dem Export werden sie im Ausland eingekauft und reimportiert. Das ist lohnenswert, weil sie im Ausland billiger sind und der Reimporteur sie zu einem Preis anbieten kann, der unter dem des in Deutschland direkt vertriebenen identischen Arzneimittels liegt. Apotheker werden von den Krankenversicherern verpflichtet, einen Teil ihres Umsatzes über Reimporte zu erzielen.

Nahrungsergänzung und Auszeichnung von Medikamenten

Nahrungsergänzungsmittel gelten als Lebensmittel und bedürfen – anders als Arzneimittel – in Deutschland  keiner Zulassung. Bevor sie vertrieben werden, müssen Hersteller oder Importeure sie allerdings beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit anzeigen. Sie werden von den Behörden aber weder zugelassen noch vor dem Verkauf auf Wirksamkeit und Sicherheit geprüft. In Deutschland darf jeder Nahrungsergänzungsmittel herstellen und vertreiben. Es gibt gesetzliche Vorgaben für die Inhaltsstoffe und die Kennzeichnung, aber nicht zu Mindest- oder Höchstmengen.

Hausapotheken & Medikamentenplan

Jan Borghorst warb ausdrücklich dafür, dass jeder möglichst eine Hausapotheke seines Vertrauens haben sollte. Apotheker, so Jan Borghorst, seien nicht selten die einzigen, die alle Medikamente eines Patienten kennen. Damit habe man nicht nur Überblick über die Menge der Medikamente und Wirkstoffe, sondern auch über mögliche unerwünschte Wechselwirkungen. So könne man frühest möglich auf Risiken hinweisen oder diese zum Beispiel durch Hinweise zum geeigneten Einnahmezeitpunkt vermeiden helfen. Bevor Jan Borghorst sich schließlich verabschiedete, plädierte er noch für einen einzigen gut geführten Medikamentenplan. Für den Apotheker sei es etwa jedes Mal ein Dilemma, wenn es mehrere Pläne gebe oder wenn ein Plan handschriftlich geändert worden sei: Es sei einfach nicht verbindlich abzuschätzen, wer die Änderung vorgenommen habe.

 

Text und Foto: Birgit Schlepütz