Potentielle Auswirkungen

Es gibt eine Reihe von experimentellen Untersuchungen und Fallberichten zu diesem Thema, die von keinerlei Schädigungen der Systeme bis hin zu vollständigem Funktionsverlust reichen. Die Schädigungen kommen zustande durch Störeffekte auf die komplementären Halbleiterbauelemente („CMOS“ = complementary metal oxide semiconductor) durch die eingesetzte Gamma-, Elektronen- Protonen oder Neutronenstrahlung. Die ionisierende Strahlung kann elektrische Leckströme und Kurzschlüsse zwischen benachbarten Leitungen erzeugen, was an jeder Stelle eines CMOS-Halbleiters auftreten kann, natürlich auch an mehreren Stellen gleichzeitig. Dieses Phänomen kann kurzfristig oder dauerhaft bestehen. Damit können alle Gerätefunktionen von der Strahlung beeinflusst werden. Es ist zu beachten, dass die abgegebene Strahlendosis auf ein elektrisches Implantat kumulativ wirkt.

Neben diesen Effekten kann an modernen Linearbeschleunigern ein elektromagnetisches Feld entstehen, was die Funktion von elektrischen Implantaten beeinflussen kann, wobei diese Felder in der Regel so schwach sind, dass eine relevante Beeinflussung nicht zu erwarten ist.
Die folgende Tabelle listet auf, welche Störungen bei Herzschrittmachern und Defibrillatoren eintreten können:

Tabelle zu Bestrahlung und ICD

Experimentelle und klinische Untersuchungen

In experimentellen Untersuchungen wurden Herzschrittmacher und Defibrillatoren aller bekannten Hersteller unterschiedlichen Strahlendosen ausgesetzt. Bemerkenswerterweise gibt es für kein System eine „kritische Dosisgrenze“, d.h. grundsätzlich ist das Auftreten jedweder Störung, also auch beispielsweise ein kompletter Stimulationsverlust bei Herzschrittmachern, schon bei sehr geringen Strahlendosen (z.B. 0,15Gy) möglich. In der letzten Untersuchung zu diesem Thema wurde gezeigt, dass 74% der direkt bestrahlen Herzschrittmacher nach einer Dosis von 20-130 Gy ausfallen. Ähnliches wurde bei der direkten Bestrahlung von ICDs beobachtet. Hier fielen bei einer sehr hohen Bestrahlungsdosis von 120Gy alle 11 untersuchten Systeme aus, bei 27% kündigte sich bereits bei geringen Dosen (1,5Gy) ein Ausfall an. Bei 36% der Systeme kam es zu Fehlwahrnehmungen, was bei aktivierten Tachykardie-Optionen zu Fehlschocks geführt hätte. Diese Beobachtungen gelten für direkte Bestrahlungen der elektrischen Implantate.

Es gibt zahlreiche Serien, die von vollkommen unkomplizierten Bestrahlungstherapien auch im Bereich des Brustkorbes, z. B. bei Brust- oder Lungenkrebs berichten, ohne dass es zu Störungen des Herzschrittmachers gekommen ist. Beobachtet wurde allerdings auch schon ein Gerätereset eines Herzschrittmachers bei Bestrahlung eines Prostatakarzinoms.

Bei Defibrillatoren wurden auch im wesentlichen Geräte-Resets beobachtet, die die basalen Therapiefunktionen beinhalteten, allerdings keine individuelle Programmierung. Diese Beeinträchtigungen kamen durch die entstehende Streustrahlung bei vom Aggregat entfernt liegendem Bestrahlungsfeld zustande.

Insgesamt liegen bis 2012 veröffentlichte Daten von 193 Patienten mit Herzschrittmacher oder Defibrillatoren vor. Bei 13 dieser Patienten (6,7%) ist es im Rahmen von therapeutischen Bestrahlungen zu Störungen der implantierten Systeme gekommen.

Konsequenzen
Die Bestrahlung von Patienten mit Herzschrittmachern und ICDs ist eine interdisziplinäre Aufgabe, bei der der behandelnde Kardiologe eng in die Bestrahlungstherapie einbezogen werden muss, um das Risiko für den individuellen Patienten zu minimieren. Insgesamt ist das Risiko einer relevanten Beeinträchtigung des Systems gering, so dass die Bestrahlungstherapie in den meisten Fällen ohne Probleme möglich ist. In der aktuellen Literatur sind Störungen von Systemen beschrieben, die ernsthafte Konsequenzen haben können. Tödliche Komplikationen wurden allerdings nicht beobachtet.

  • Viele der beschriebenen Fehlfunktionen traten unvorhergesehen und unabhängig von der Strahlendosis auf.
  • Die Lage des Aggregates ausserhalb des Bestrahlungsfeldes bietet aufgrund der entstehenden Streustrahlung keine absolute Sicherheit vor Gerätestörungen.
  • Aus den vorhandenen Daten kann keine kritische Bestrahlungsdosis abgeleitet werden, vermieden werden sollten Strahlendosen am Aggregat von >2Gy bei Herzschrittmachern bzw. >1Gy bei ICDs. Werden die erwarteten Strahlendosen überschritten, oder liegt das Aggregat in unmittelbarer Nähe des Bestrahlungsfeldes, muss individuell über eine operative Verlagerung des Aggregates vor Beginn der Bestrahlungstherapie diskutiert werden.
  • Problematisch sind v.a. Störungen, die mit zeitlicher Latenz zur Bestrahlung (Wochen bis Monate) nach Beendigung der Strahlentherapie eintreten.
  • Vor Beginn der Strahlentherapie sollte das implantierte System einer umfassenden Kontrolle unterzogen werden, idealerweise bei einem Kardiologen, der eng mit dem Bestrahlungszentrum kooperiert und der mit den Besonderheiten der Systeme in Bezug auf die geplante Strahlentherapie vertraut ist.
  • Das die Bestrahlung durchführende Zentrum muss trainiert sein auf Notfälle jedweder Art (z.B. Wiederbelebungsmaßnahmen). Entsprechendes Notfall-Equipment inkl. Defibrillator muss vorhanden sein. Während der Bestrahlung muss eine EKG- und Pulsoxymetrie-Monitoring erfolgen.
  • Bei Patienten ohne eigenen Herzrhythmus („kein Eigenrhytmus“) sollte vor jeder Bestrahlung eine Umprogrammierung in einen asynchronen Stimulationsmodus erfolgen, um eine Unterdrückung der Stimulation zu vermeiden.
  • Bei ICD-Patienten sollte der Defibrillator für die Zeit der Bestrahlung deaktiviert werden (Umprogrammierung oder Auflage eines Ringmagneten).
  • Nach jeder Bestrahlungssitzung muss eine Kontrolle des Herzschrittmachers oder ICDs erfolgen. In der Zeit bis zur Kontrolle des Systems ist ein EKG-Monitoring erforderlich.
  • Eine weitere Kontrolle sollte etwa sechs Wochen nach der letzten Bestrahlung erfolgen.

Diese Vorsichtsmaßnahmen sind sehr strikt und u.U. konservativ, sie dienen aber lediglich dem bestmöglichen Schutz des Patienten.
Sie als Patient sollten aus Sicherheitsgründen vor jeder Bestrahlungssitzung das Bestrahlungsteam auf ihren Herzschrittmacher oder ICD hinweisen.

Eine individuelle Beratung zur Bestrahlung bei Patienten mit Herzschrittmachern oder Defibrillatoren ist z.B. möglich in der

Herzschrittmacher- und ICD-Ambulanz des Universitätsklinikums Münster
Abteilung für Rhythmologie
Department für Kardiologie und Angiologie
Oberarzt Dr. med. Florian Reinke
Telefon: 0251-8347619
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Bitte haben Sie Verständnis, dass für eine Beratung die Kontrolle des implantierten Systems sowie die Kenntnis der vollständigen Krankengeschichte erforderlich sind. Eine alleinig telefonische Beratung ist in der Regel nicht ausreichend.